Foto: Chris Gossmann
Papierlos an der Werkbank
Künstliche Intelligenz (KI) erlebt in den Unternehmen einen rasanten Schub. Auch im Mittelstand – zum Beispiel bei der UHE Feinmechanik.
Andre Stelzer ist eigentlich ein sachlicher Typ. Doch nach und nach öffnet sich der Feinmechaniker und sagt: „Ich bin schon ein bisschen stolz darauf, was wir hier erreicht haben.“ Der 41-Jährige war von Beginn an dabei. „Wir haben bei null angefangen. Heute arbeitet so gut wie jeder bei uns mit seinem eigenen Tablet an der Werkbank.“ Sein Unternehmen, die UHE Feinmechanik in Hemmingen bei Hannover, setzt auf Digitalisierung in der Fertigung. Die 35 Mitarbeiter erstellen Dreh-, Fräs- und Blechteileund setzen dabei ganz auf papierlose Fertigung. „Zeichnungen, Fotos, Arbeitsgänge, Arbeitsplatzbeschreibung - ein Knopfdruck und alles ist da“, sagt Stelzer. „Wir haben eine eigene App, über die wir alle Informationen bekommen.“ Die papierlose Produktion ist bei UHE so gut wie komplett umgesetzt. Dafür wurde das mittelständische Unternehmen mit dem Zertifikat „Digitaler Ort Niedersachsen“ ausgezeichnet. Prozesse und Daten transparent sichtbar machen – das ist ein Ansinnen, dass viele Mittelständler heute antreibt. Bei ihnen wächst die Sorge, den Anschluss an ihre Wettbewerber zu verlieren. Der Anteil der Unternehmen, die KI einsetzen, ist zwischen 2022 und 2023 von 9 auf 15 Prozent gestiegen.
Foto: Chris Gossmann
Ölpapier gehört der Vergangenheit an
Heute kann UHE viel schneller reagieren, Aufträge zu neuen Terminen setzen und Stückzahlen innerhalb des Prozesses ändern. „Das war früher gar nicht möglich. Da musste man das Papier wieder einsammeln, zerreißen, neu ausdrucken und wieder in die Fertigung geben“, erzählt Geschäftsführer Hermann Strathmann. „Das hat unglaublich viel Zeit gekostet, weil es mehrmals pro Woche passierte.“
Noch viel größer allerdings sind die Vorteile, weil alte Zeichnungen nicht mehr auf Papier gebraucht werden. „Wir haben Zeichnungen, die sind von 1960“, sagt Strathmann. „Das ist schon echtes Ölpapier. Die sind nicht mehr weiß, die sind gelb getränkt von unserem Öl. Der Rand ist zerfleddert. Man kann kaum noch etwas erkennen.“ Das alles gehört der Vergangenheit an, weil die Mitarbeiter die benötigten Informationen digital bekommen. „Ohne Einschränkungen, perfekt sichtbar. Die Mitarbeiter können zoomen und Bemerkungen machen. Ich bin total begeistert.“
Aus Skepsis wird Begeisterung
Doch es war alles andere als ein Kinderspiel, wie UHE-Chef Strathmann zugibt. Denn UHE hat als jahrzehntelanger Partner seiner Kunden zum Teil sehr alte Zeichnungen, die es zu digitalisieren galt. „Wir hatten drei IT-Dienstleister gefragt, doch es wusste keiner so wirklich, wie man alle Daten zusammenträgt. Wir waren schon am Verzweifeln und wollten die Brocken hinschmeißen.“ Erst der Kontakt zu einem kleinen Ingenieurbüro führte zum Erfolg.
Ein guter Partner sei wichtig, sagt Strathmann. Hinzu kommt außerdem die Bereitschaft der Mitarbeiter. Andre Stelzer gibt zu, dass er anfangs gegrübelt habe. „Weil mir nicht sofort klar war, ob die Vorteile tatsächlich überwiegen.“ Er hat schon seine Ausbildung in dem Familienbetrieb gemacht und ist inzwischen 25 Jahre im Unternehmen. Vieles, sagt er, hat sich über die lange Zeit eingespielt und ist zur Routine geworden. „Ich war schon unsicher, ob es Sinn macht“, sagt er. Doch aus der Skepsis ist längst Begeisterung geworden. Er zeigt auf seine Werkbank: „Schauen Sie hier, es liegt nichts mehr rum. Auch die Kommunikation mit den Fremdfirmen und Kunden läuft jetzt viel besser.“
Wenige Meter entfernt ist der Arbeitsplatz von Oliver Deack. Der Zerspanungsmechaniker ist seit 12 Jahren bei UHE und gehört zu den wenigen Mitarbeitern, die noch ausgedruckte Anweisungen auf Papier bekommen. „Doch der Stapel ist im Vergleich zu früher deutlich dünner“, gibt er zu. Was sich über Jahre angesammelt hat, muss nun als Daten eingegeben werden. „Ich programmiere die Biegewerkzeuge und Fräsmaschinen. IT ist ganz klar mein Ding“, sagt er.
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Gewohnheit ist ein starker Klebstoff
Geschäftsführer Strathmann verschweigt nicht, dass es zu Beginn einige Hürden zu überwinden galt. Gewohnheit sei ein starker Klebstoff, sagt er. „Wir haben zuerst Tests mit drei Mitarbeitern gemacht, wie schnell und gern sie mit einem Tablet arbeiten wollen“, erzählt Strathmann. „Wir waren überrascht, wie stark am Ende doch die Bereitschaft war.“ Auch bei Ralf Rosebrock, der mit inzwischen 62 Jahren zu den ältesten Mitarbeitern bei UHE zählt. „Ich hatte schon sehr früh einen Commodore-Computer und finde es total wichtig, dass wir uns digital ausrichten“, sagt er. Wie selbstverständlich zeigt er auf dem Tablet, welche Informationen zu finden sind.
Auch bei Kyra-Marie Kuhlmann: Die 20-Jährige ist frisch-gebackene Feinmechanikerin. Sie kam über ein Ferienpraktikum zu UHE und wollte unbedingt in dem Familienbetrieb eine Ausbildung machen. „Weil das Team total cool und locker ist. Und auch, weil wir hier digital weit vor sind.“
[WERNER FRICKE]