„Die Politik rührt das Thema Zuschüsse für Krankenversicherungen nicht an“
Die Corona-Krise belastet nicht nur die Wirtschaft finanziell exorbitant, sondern auch die Gesetzlichen Krankenkassen. Andreas Lenz, Vorstandsvorsitzender der BBK Pfalz, erklärt, was ein Corona-Patient wirklich kostet – und warum die Rücklagen innerhalb weniger Wochen aufgebraucht sein werden, wenn die Politik nicht reagiert.
Herr Lenz, was hat Corona mit den gesetzlichen Krankenkassen gemacht?
Wir leben als Krankenkassen ja in unserer Finanzprognose. Da können wir mittlerweile schon ganz gut einschätzen, wann größere Ausgaben kommen und wann nicht. Durch Corona sind diese Einschätzungen fast unmöglich geworden.
Wie äußert sich das konkret?
Nehmen wir den Krankenhausbereich, der bei uns der größte Block ist. Wir wissen nicht, wann welcher Corona-Patient ins Krankenhaus kommt. Und wir können auch nicht abschätzen, wie schwer der Fall sein wird. Während ein üblicher Krankenhaus-Patient je nach Erkrankung zwischen 5.000 und 30.000 Euro kostet, sind es bei einem Corona-Patienten meist 40.000 bis 60.000 Euro. Oder in der Spitze sogar deutlich über 100.000 Euro.
Wie hat die Politik auf die Notlage in den Krankenhäusern reagiert?
Die Politik spannt Rettungsschirme für Leistungsempfänger. Das heißt, es wird mehr Geld ausgegeben. Bei den Krankenhäusern etwa in Form von Freihalteprämien. Das allein hat 2020 Kosten von rund 9,4 Milliarden Euro verursacht. Große Teile der „Rettungsschirme“ werden aus dem Gesundheitsfonds finanziert, sprich von Beiträgen der GKV-Versicherten und Arbeitgeber. Adäquate Zuflüsse an Steuern bleiben aus.
Aber hat die GKV nicht hohe Rücklagen aufgebaut?
Bei den Kassen liegen noch rund 16,7 Milliarden Euro und beim Gesundheitsfonds nochmal 5,9 Milliarden Euro. Das sind zusammen 22,6 Milliarden Euro. Da denkt doch jeder normale Bürger: So viel Geld, das ist doch nicht knapp. Wenn wir uns jetzt aber die monatlichen Ausgaben in 2020 ansehen, dann reicht diese Rücklage gerade noch für vier Wochen Leistungen der GKV.
Was bedeutet das für die Versicherten?
Die Luft wird dünn. Und das obwohl sich die Ausgaben für das Jahr 2021 wohl sogar unterdurchschnittlich entwickeln werden. Aber wir haben Prognosen vorliegen, dass der Zusatzbeitrag im Jahr 2022 auf über 2,3 Prozent steigen könnte. Das heißt, wenn keine zusätzlichen Mittel in den Gesundheitsfonds fließen, dann werden wir im nächsten Jahr mehr als eine Verdopplung des Zusatzbeitrages sehen.
Sie sagen, die finanziellen Prognosen für 2021 sind eher positiv. Aber was passiert, wenn das Virus noch einmal mutiert und der Impfschutz vielleicht weniger zuverlässig greift, als erhofft?
Angenommen die laufende dritte Welle geht im Herbst in eine vierte Welle über und führt zu dramatischen Zuständen, dann fehlt auch mir die Fantasie, wo die Einnahmen herkommen sollen.
Der Politik muss diese Problematik doch bewusst sein …
Ich sehe keine politischen Impulse, die dazu führen, daran irgendwas zu verbessern. Der Bundeshaushalt 2022 wurde ja jetzt aufgelegt und diskutiert und da gibt es keine zusätzlichen Steuerzuschüsse. Das heißt Politik wird dieses Thema nicht anrühren. Ich befürchte, dass einer neuen Regierung, welcher Couleur auch immer, nur bleibt, Leistungen zu beschränken oder tatsächlich die Beiträge steigen zu lassen.
Was wäre die Alternative?
Das Problem an sich ist ja nicht neu. Es gibt ganz viele versicherungsfremde Leistungen, die in das System der gesetzlichen Krankenkassen hineingebracht, aber nicht mit Steuerzuschüssen ausgeglichen wurden. Da geht es nicht um den Inhalt dieser Leistungen, die fachpolitisch und gesellschaftlich völlig in Ordnung sind. Dass Sie mich da nicht falsch verstehen. Ich glaube aber, wir müssen früher oder später als Gesellschaft die Diskussion führen, was Inhalt des GKV-Leistungskatalogs sein soll. Was ist die Basis, die jeder von uns als unmittelbar lebensnotwendig betrachtet, und wie finanzieren wir das, was darüber hinausgeht.