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Ein moderner Tarifvertrag für schwierige Zeiten
Rund ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie verhandelten Arbeitgeber und Gewerkschaft Anfang des Jahres über einen neuen Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie. Eine Aufgabe, für die dieses Mal besonders viel Verständnis und Fingerspitzengefühl gefragt waren.
Die Corona-Pandemie hat die deutsche Wirtschaft in die größte Krise seit der Gründung der Bundesrepublik gestürzt und die Folgen sind noch immer nicht abschätzbar. In dieser für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen schwierigen Zeit mussten sich die Sozialpartner zu Beginn des Jahres auf einen neuen Tarifvertrag für die Metall- und Elektro-Industrie einigen. Diesen Balanceakt zu meistern ist NiedersachsenMetall und IG Metall für Niedersachsen in der fünften Verhandlungsrunde gelungen. „Der Tarifabschluss für die M+E-Industrie ist ohne Zweifel innovativ und unter Kostenaspekten verantwortungsbewusst“, lobt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall.
Was sich in den Jahren zuvor bereits abzeichnete, trat bei diesen Verhandlungen besonders deutlich zutage: Ein Tarif-vertrag, der alle Unternehmen gleichermaßen belastet, ist angesichts politischer Rahmenbedingungen, divergierender Entwicklungen auf den Weltmärkten und nicht zuletzt infolge der stark unterschiedlichen Auswirkungen der Pandemiebekämpfung auf die einzelnen Branchen eher utopisch. Während die Luft derzeit für viele Automobilzulieferer immer dünner wird, haben sich die Geschäfte etwa von Herstellern für Medizinprodukte positiv entwickelt. Ein Tarifvertrag muss diesen gravierenden Unterschieden zwischen den einzelnen Branchen Rechnung tragen. „Das Modell ‚One Size fits all‘ hat definitiv ausgedient“, sagt Thorsten Muscharski, Verhandlungsführer von NiedersachsenMetall.
Der Grenzen des Zumutbaren bewusst
Doch wie lässt sich diese Notwendigkeit mit einer Arbeitnehmerschaft vereinbaren, deren Vertretung in der zweiten Verhandlungsrunde schon einmal eine Lohnerhöhung von pauschal vier Prozent Volumen fordert? „Stets um die Grenzen des Zumutbaren beim Verhandlungspartner auf der anderen Seite des Tisches zu wissen und danach zu handeln – das ist mein Verständnis von einer erfolgreichen Sozialpartnerschaft“, sagt Schmidt. Von daher war beiden Seiten schnell klar, dass der Abschluss den Beschäftigten, aber auch den Unternehmen Perspektiven aufzeigen muss.
Im März ging der Blick von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften nach Nordrhein-Westfalen, dort wollten die Tarifpartner einen zeitgemäßen, flexiblen und der wirtschaftlichen Lage angemessenen Pilot-Abschluss vereinbaren. Das Vorhaben war erfolgreich, nach 14-stündigen Verhandlungen stand ein Pilotabschluss mit einer Laufzeit von 21 Monaten bis September 2022. Zehn Tage später einigten sich auch NiedersachsenMetall und IG Metall auf einen neuen Tarifvertrag für die rund 120.000 Beschäftigten der Metall- und Elektro-Industrie in Niedersachsen. Damit haben die Tarifpartner in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit unter Beweis gestellt, dass Sozialpartnerschaft keine leere Phrase ist – wenn sie denn von beiden Seiten als „Sozialpartnerschaft“ verstanden wird.“
Zum Tarifvertrag im Einzelnen:
Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 21 Monaten. Dies gibt den Unternehmen Planungssicherheit bis weit in das kommende Jahr hinein, was in der von Corona geprägten, unsicheren Phase der Weltwirtschaft ein Wert an sich ist. Mindestens genauso wichtig ist, dass es gelungen ist, eine lange Laufzeit mit vertretbaren Kostenbelastungen für die Unternehmen zu kombinieren und darüber hinaus eine Reihe innovativer Elemente im Tarifvertrag zu vereinbaren. Konkret einigten sich NiedersachsenMetall und IG Metall darauf, dass die Beschäftigten im Juni dieses Jahres eine einmalige Corona-Prämie von 500 Euro erhalten, für Auszubildende gibt es 300 Euro. Im Februar 2022 kommt erstmals ein Transformationsgeld in Höhe von 18,4 Prozent eines Monatsentgelts hinzu. Im Februar 2023 steigt diese Sonderzahlung auf 27,6 Prozent des Monatsentgelts und wird dann tarifdynamisch jährlich ausgezahlt. Das Transformationsgeld kann jedoch auch zur Weiterbildung und Weiterqualifizierung genutzt werden, in den vom Transformationsprozess stark betroffenen Betrieben, etwa in der Automobilindustrie.
Sozialpartnerschaft: auch in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit keine leere Phrase.
Der Tarifvertrag beinhaltet darüber hinaus erstmals verbindliche Elemente einer Differenzierung von Lohnbestandteilen. So wird die Auszahlung des sogenannten „T-Zug B“-Entgelts in Höhe von 12,3 Prozent eines Monatsentgelts von Juli auf Oktober 2021 verschoben und kann bei schlechter Ertragsentwicklung bis in den Februar 2022 hinein verschoben werden. Bei einer Nettoumsatzrendite von weniger als 2,3 Prozent kann das „T-Zug B“-Entgelt durch einseitige Erklärung des Arbeitgebers auch komplett entfallen. „Uns war immer wichtig, dass der Vertrag flexibel auf die unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen der einzelnen Unternehmen reagieren kann“, sagt Muscharski. „Diese Flexibilität haben wir erreicht.“