Mission: Troubleshooting
Mitten zwischen Dauer-Lockdown, Impfkampagne und Debatten über Inzidenzwerte tritt Daniela Behrens in Niedersachsen das Amt der Sozial- und Gesundheitsministerin an. Ein Posten, für den man in dieser Zeit starke Nerven und Selbstvertrauen braucht. Doch wer ist diese mutige Frau eigentlich?
Fotos: Axel Herzig
Der Tag beginnt für Daniela Behrens mit dem ersten Kaffee im Büro. „Ich bin kein Frühstückstyp, war ich noch nie“, sagt sie. Aufstehen, waschen, anziehen und los – das ist die Routine, in der sie sich seit ihrer Jugend wohlfühlt. Ihre kleine Zweitwohnung in Hannover verlässt sie so, dass sie gegen sieben Uhr an ihrem Schreibtisch im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung sitzt. Seit März ist die Sozialdemokratin hier die Chefin, seit Carola Reimann das Amt der Ministerin wegen einer schweren Erkrankung aufgeben musste.
Kein Thema ist so hart umkämpft wie die Coronapolitik
In normalen Zeiten befasst sich eine Sozialministerin hauptsächlich mit Themen wie dem Schutz von Kindern vor Gewalt oder der Chancengleichheit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Es sind selten strittige Themen, denn es ist Konsens, dass etwa der Schutz von Heranwachsenden oder die Gleichberechtigung von Männern und Frauen für den Zusammenhalt der Gesellschaft enorm wichtig sind. Doch seit einem Jahr dominiert ein sozialpolitisches Thema alle anderen: das Coronavirus. Und kein Thema in der Politik ist so hart umstritten und wird in der Gesellschaft so kontrovers diskutiert, wie die Bekämpfung der Pandemie. Immer mitten im Kreuzfeuer: die Sozial- und Gesundheitsministerin.
Zurzeit befassen wir uns zu 90 Prozent mit der Debatte um Corona und zu zehn Prozent mit den anderen sozialpolitischen Themen.
Daniela Behrens wusste um diese Rolle, als Ministerpräsident Stephan Weil sie anrief und ihr den Job anbot. Sie bat um Bedenkzeit – und sagte schon drei Stunden später zu. Obwohl Gesundheit bis dahin nicht zu den zahlreichen Themengebieten gehörte, in denen sie sich auskennt. „Das war tatsächlich auch der Knackpunkt in meinen Überlegungen“, gibt Behrens zu. „Aber wenn mir der Ministerpräsident dieses Amt zutraut, dann sollte ich mir und meinen Fähigkeiten auch Vertrauen schenken.“
Ein Ohr für die Sorgen der Pflegekräfte
Im grauen Wollmantel, die FFP2-Maske über Mund und Nase gezogen, steht Daniela Behrens an diesem Aprilmorgen vor dem Ministerium und spricht mit Vertretern des Pflegebündnisses Niedersachsen. Sie haben ihr ein großes Blatt Papier gegeben, mit Forderungen für eine Verbesserung der Pflege. Ein eiskalter Wind fegt über den Platz. Die Ministerin trägt weder Schal noch Handschuhe, die Kälte scheint ihr wenig auszumachen. Ein echtes Nordlicht. Sie nimmt sich Zeit, hört den Menschen zu. Einer, er ist Ausbildungsleiter an einem hannoverschen Klinikum, klagt über den eklatanten Personalmangel in der Pflege. „Immer mehr verlassen fluchtartig die Intensivstationen, sie können nicht mehr, viele haben Burnout“, sagt er. Behrens nickt. „Das kann ich gut nachvollziehen, nach einem Jahr Pandemie und Arbeiten am Limit ist das kein Wunder.“
Sie verspricht, die Situation in der Pflege im Blick zu behalten und möglichst bald Verbesserungen durchzusetzen. Doch um die strukturellen Defizite anzugehen, werde es noch eine Weile dauern. „Jetzt sind alle Pfleger im Fronteinsatz, da ist keine Zeit, um mit mir Reformen zu entwickeln.“ Zustimmendes Nicken bei ihren Gesprächspartnern. Doch sie ist zuversichtlich, dass die Zeit und die Möglichkeit dazu schon im Herbst kommen werden. „Wir kommen gut voran beim Impfen und ich bin sicher, dass wir die Impfreihenfolge schon bald aufheben.“
Von fast allen Bevölkerungsgruppen haben Kinder und Jugendliche in dieser Pandemie besonders gelitten.
Erklären ist ihre wichtigste Aufgabe
Impfen ist auch an diesem Tag das vorherrschende Thema. Direkt nach dem Gespräch mit den Pflegekräften nimmt das NDR-Fernsehen ein Interview mit ihr auf. Es geht um die Impfpriorisierung. Drei Bundesländer hatten kurz zuvor verkündet, Astrazeneca an alle Altersgruppen auszugeben. Ob Niedersachsen sich das auch vorstellen könne. „Wir halten uns weiter an die Regeln und gehen kein Risiko ein“, beruhigt Behrens. Alle unter 60 Jahren bekämen mindestens als Zweitimpfung einen mRNA-Impfstoff. Das Gleiche spricht sie am Mittag in ein Mikrofon von Sat1 und wiederholt es am Nachmittag im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.
Erklären, erklären, erklären – das ist die wichtigste Aufgabe in ihrer Rolle als Ministerin. Als frustrierend empfindet sie das nicht, im Gegenteil: „Politiker müssen den Bürgern immer erklären, warum sie etwas tun, das ist der Kern einer Volksvertretung“, sagt sie. Und in der Pandemie sei das Erklären nochmal deutlich wichtiger geworden. „Die Pandemie, die Corona-Politik und die ganzen Unsicherheiten, die damit verbunden sind, machen vielen Menschen Angst.“ Diese Angst könne man nur bekämpfen, wenn man ruhig, mit sachlichen Argumenten und Verständnis mit den Menschen rede.
Ein Herz für Kinder und Jugendliche
Dennoch bekümmert es die 52-Jährige, dass all die anderen Themen aus ihrem Haus in der öffentlichen Wahrnehmung zurzeit kaum präsent sind. „Zurzeit befassen wir uns zu 90 Prozent mit der Debatte um Corona und zu zehn Prozent mit den anderen sozialpolitischen Themen“, sagt Behrens. Im Gespräch in ihrem Büro beim zweiten Milchkaffee wird schnell deutlich, für welche Bereiche ihr Herz hauptsächlich schlägt. Etwa die Gleichberechtigung von Frauen. „Die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Aber wenn es um Gehälter, Führungspositionen oder Wertschätzung von Leistung geht, da besteht immer noch eine enorme Schieflage zwischen Männern und Frauen“, sagt sie. Das sei etwas, was sie nicht akzeptieren könne und wolle. „Da müssen wir auch in Niedersachsen noch ganz viel verbessern.“
Doch noch leidenschaftlicher wird sie, als die Kinder- und Jugendpolitik zur Sprache kommt. „Von fast allen Bevölkerungsgruppen haben Kinder und Jugendliche in dieser Pandemie besonders gelitten“, sagt sie. Sie dürfen kaum Freunde treffen, haben kaum Bewegung, können nur wenig in der Freizeit unternehmen. „Da hilft es nichts, wenn wir ihnen sagen: ,In zwei, drei Monaten wird alles besser‘. Kinder haben ein ganz anderes Zeitgefühl als Erwachsene, für sie sind drei Monate eine Ewigkeit.“ Wichtig sei deshalb, dass Kinder und Jugendliche schnell möglichst viel ihres normalen Lebens zurückbekämen. „Dazu gehören Freunde, die Schule, der Sport und auch der Besuch im Club, oder wie man die Disco heute so nennt.“
Man bekommt die junge Frau vielleicht raus aus dem Norden, aber den Norden nicht raus aus ihr.
Über Bremen und Berlin zurück in die Heimat
Man merkt, dass die Politik für Kinder und Jugendliche Daniela Behrens schon sehr lange begleitet. Genau genommen, seit sie 2001 in den Kreistag von Cuxhaven einzog und dort für die Interessen von Kindern und Jugend-lichen stritt. Doch das war zunächst gar nicht so geplant. Denn in ihrer eigenen Jugend wollte Daniela Behrens erstmal nur weg aus ihrem Heimatort Bokel, einem Dorf im südwestlichen Landkreis Cuxhaven. Nach dem Abitur in Bremerhaven zog sie deshalb nach Bremen, studierte hier Politikwissenschaft auf Diplom. Nebenbei begann sie als Journalistin zu arbeiten. 1995 ging sie nach Berlin und studierte drei Jahre lang an der Freien Universität neben der Arbeit Journalismus. 1996 trat sie in die SPD ein.
Doch man bekommt die junge Frau vielleicht raus aus dem Norden, aber den Norden nicht raus aus ihr. Aus familiären Gründen bewarb sich die damals 32 Jahre alte Daniela Behrens auf die Stelle als Pressesprecherin und Leiterin der Stabsstelle Marketing und Öffentlichkeitsarbeit an der Hochschule Bremerhaven – und kehrte so 2000 zurück in die Heimat. Sieben Jahre später rückte sie für Heidrun Merk in den niedersächsischen Landtag nach und erstritt sich bei den Wahlen 2008 und 2013 über die Landesliste ihr eigenes Mandat. Ihr inhaltlicher Schwerpunkt verschob sich von der Kinder- und Jugendpolitik zur Kultur- und Medienpolitik.
2013 wurde sie Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, aus dem sie 2017 freiwillig ausschied, nachdem es Behauptungen gab, sie hätte sich in einer Vergabe nicht an die Vorgaben gehalten. Diese Anschuldigungen wurden später von der Staatsanwaltschaft Hannover widerlegt. Zwei Jahre später entdeckte Daniela Behrens ihr zweites Herzensthema für sich: Sie wurde Leiterin der Gleichstellungsabteilung im Bundesfamilienministerium. Bis im Februar dieses Jahres auf einer Zugfahrt nach Berlin ihr Handy klingelte. Der Ministerpräsident war in der Leitung und bat sie um die Rückkehr nach Niedersachsen. „Damit hatte ich definitiv nicht gerechnet“, sagt sie. Wie sie sich entschieden hat, ist bekannt. Bereut hat sie es bisher nicht. „Und ich glaube nicht, dass ich das je tun werde.“
Wenn es der Terminkalender zulässt, verbringt die Ministerin ihre Wochenenden am liebsten an dem Fleckchen Erde, von dem sie nun sicher weiß, dass er ihre Heimat ist: in Bokel. Dort haben sie und ihr Mann vor einigen Jahren ein Grundstück gekauft und ein Haus gebaut. Die Arbeit im Garten und in der Küche helfen Daniela Behrens, abzuschalten und vom Stress der Woche und der permanenten Kritik am Corona-Management loszulassen. „Normalerweise gehe ich auch öfter schwimmen, aber durch die Pandemiebeschränkungen muss die Gartenarbeit erst mal für die Bewegung reichen“. Auch bei einem guten Buch entspannt sich die Ministerin gern. Am liebsten hat sie historische Bücher oder Autobiografien. So liegt auf ihrem Nachttisch zurzeit die Autobiografie der Kriegsberichterstatterin Marie Colvin, einer mutigen Frau, die mit ihren Reportagen aus dem Nahen Osten berühmt wurde und 2012 bei einem Einsatz in Syrien starb. Daniela Behrens freut sich schon darauf, vor dem Schlafengehen noch ein paar Seiten darin zu lesen. Nachdem sie in ihrem Büro im Ministerium das Licht ausgemacht hat. So gegen 22 Uhr.