Der Sturm lässt nach, die Wellen werden kleiner und Hoffnung keimt auf – Ist es überstanden? Oder ist das hier nur das Auge des Hurricanes, und die größte Kraftprobe steht erst noch bevor? Die Corona-Krise ist der schlimmste Sturm, den die Wirtschaft in Niedersachsen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs überstehen muss. Und es ist auch mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie kaum möglich, Prognosen abzugeben. Zieht der Sturm nun endlich ab und macht es möglich, den Schaden umfassend zu begutachten und die Trümmer aufzusammeln? Oder ist es wie schon im Sommer 2020 nur ein kurzes Luftholen, bevor der pandemische Gegenwind mit neuer Kraft durch nahezu alle Branchen tobt? „Die Auswirkungen der Krise auf die Wirtschaft werden in jedem Fall noch sehr lange zu spüren sein und die Wachstumsaussichten unseres Landes auf lange Sicht belasten“, sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände.
Der noch im Herbst vorherrschende Optimismus hat sich ins Gegenteil verkehrt.
Die Sorgen über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wachsen in der Bevölkerung bereits massiv. Für eine repräsentative Umfrage zur Einschätzung der wirtschaftlichen Lage hat das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Drei Quellen Mediengruppe von Oktober bis März in drei Durchgängen jeweils mehr als 1300 Niedersachsen befragt. Das Ergebnis zeichnet ein düsteres Bild: Jeder Zweite rechnet mittlerweile damit, dass die Talfahrt der Wirtschaft in Niedersachsen noch lange nicht zu Ende ist. „Der noch im Herbst vorherrschende Optimismus, dass die Unternehmen schon irgendwie durch die Krise kommen, hat sich über den Jahreswechsel ins Gegenteil verkehrt“, sagt Schmidt, der auch Geschäftsführer der Drei Quellen Mediengruppe ist. Mit zunehmender Dauer der Krise wachse die Besorgnis, dass etliche Betriebe nicht überleben werden. „Die Psyche der Bevölkerung ist erheblich angeschlagen und das lässt sich mit keinem ökonomischen Prognosemodell abbilden“, so Schmidt.
Kurzarbeit in ungekanntem Ausmaß
Die Auswirkungen spüren viele Niedersachsen bereits ganz konkret. Im ersten Lockdown von März bis Mai 2020 war Kurzarbeit eines der gebräuchlichsten Worte. Viele Arbeitnehmer fanden sich von einem Tag auf den anderen teilweise oder komplett in Kurzarbeit wieder. Ihre Unternehmen waren durch die Corona-Bestimmungen der Politik ganz oder in Teilen stillgelegt worden, die Aufträge sind eingebrochen, der Umsatz rasant zurückgegangen. Die Arbeitgeber mussten die Notbremse ziehen und Ausgaben radikal kürzen – sonst drohte die Pleite. Kurzarbeit in diesem Ausmaß – das war Wirtschaft, Medien und Gesellschaft neu. Der erste Lockdown endete, ein halbes Jahr später begann der nächste, ungleich längere Lockdown. Und wieder mussten zahllose Unternehmen ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Der Unterschied: Es sprach kaum noch jemand darüber. Es wurde mehr oder weniger zur Normalität.
Mittlerweile war fast jeder dritte Niedersachse mindestens vorübergehend in Kurzarbeit.
Der Umfrage zufolge ist die Zahl derjenigen, die derzeit in Kurzarbeit sind oder vorübergehend Erfahrungen mit Kurzarbeit gemacht haben, über den Winter signifikant gestiegen. Mittlerweile hat fast jeder dritte Niedersachse seine Arbeitszeit zumindest vorübergehend zwangsweise reduzieren müssen, im Dezember war es noch jeder Fünfte. Während sich im Oktober und Dezember noch 17 Prozent Sorgen um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes machten, sind es im März schon 20 Prozent. In Zeiten einer normalen Konjunktur schwankt dieser Wert in Niedersachsen um acht Prozent. Besonders stark betroffen: die 45- bis 59-jährigen Berufs-tätigen. Jeder sechste aktuell Kurzarbeitende gehört zu dieser Altersgruppe.
Wie skeptisch die Bürger der Entwicklung der wirtschaftlichen Lage gegenüberstehen, zeigt sich auch an der Einschätzung zur Entwicklung des eigenen Betriebes. Nur 23 Prozent sind optimistisch, dass die Geschäfte in den nächsten sechs Monaten wieder besser laufen. 39 Prozent der Befragten glauben, dass sich nur wenig ändern wird. Und 13 Prozent befürchten, dass es ihrem Unternehmen künftig noch schlechter gehen werde. In einer normalen wirtschaftlichen Lage wäre das ein positives Signal. „Doch in einer Zeit, in der Firmen mit Kurzarbeit und Abbau von Arbeitsplätzen um ihre Existenz kämpfen müssen, ist die Erwartung einer Fortführung des neuen Status Quo ein schlechtes Zeichen“, sagt Schmidt. Und so ist denn auch die Angst vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes über die Monate größer geworden. Jeder Fünfte befürchtet mittlerweile den Verlust des Jobs.
Impfungen und Tests könnten den Sturm endlich vorüberziehen lassen.
Eine ausreichende Unterstützung durch den Staat sieht die Mehrheit unterdessen nur für große Unternehmen gegeben. Kleine und mittlere Unternehmen dagegen werden nach Ansicht der Niedersachsen viel zu oft im Stich gelassen. Diese Meinung hat sich im Verlauf der Umfrage sogar noch verfestigt. Glaubte im Oktober noch mehr als jeder fünfte Befragte an eine ausreichende staatliche Unterstützung für kleine und mittlere Betriebe, so vertrat im März nur noch gerade mal jeder Achte diese Ansicht.
Corona-Schutzmaßnahmen belasten kleine und mittlere Unternehmen
Und die Tendenz dürfte weiter fallend sein. Denn für die Kosten, die durch die im April eingeführte Testangebotspflicht für Unternehmen anfallen, ist keine finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite vorgesehen. Ebenso wenig wie für all die anderen Corona-Schutzmaßnahmen wie Masken, Raumtrenner oder zusätzliches Reinigungspersonal, die die Unternehmen in den Monaten seit Ausbruch der Pandemie aus eigener Tasche bezahlt haben. Einer branchenübergreifenden Umfrage der Arbeitgeberverbände zufolge wurden kleine und mittlere Unternehmen auch hier besonders stark belastet. Im Schnitt hatten etwa Betriebe mit weniger als 100 Mitarbeitern Kosten von 14.000 Euro nur für Schutzmaßnahmen. „Die Kosten für Hygienemaßnahmen, Homeoffice und Tests sind vielfach höher als die Wirtschaftshilfen für die Betriebe. Vielfach waren die Corona-Hilfen ein Tropfen auf den heißen Stein. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Unternehmen, die keinerlei öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen konnten“, sagt Schmidt.
Er geht deshalb davon aus, dass die Wirtschaft nun vor den entscheidenden Monaten steht. „Davon, dass andere Länder in der Pandemiebekämpfung deutlich weiter sind als wir, profitiert die exportorientierte deutsche Wirtschaft.“ Wenn es nun auch hierzulande gelänge, die Pandemie mithilfe von Impfungen und Tests langfristig in den Griff zu bekommen, könnte der Sturm bald vorübergezogen sein. Andernfalls droht er in die nächste Phase einzutreten – mit massenhaft Insolvenzen.