Die Lage der Industrie

Foto: gettyimages (francescoch)

Das große Inflationsgespenst:
Was erwartet uns 2022?

Lange galt die Inflation als ausgerottet. Ende des Jahres 2021 lag sie nun erstmals wieder bei mehr als 5 Prozent – die höchste Messung seit Juni 1992. Viele Menschen mussten mit Erstaunen feststellen, dass die Inflation doch kein Geist der Vergangenheit ist. Aber was wird uns im kommenden Jahr erwarten? Sind die siebziger Jahre zurück?

Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich zunächst mit den Gründen der jüngsten inflationären Entwicklungen beschäftigen. Während das 2. Halbjahr 2020 von Tiefstständen bei den Mineralölpreisen und der temporären Senkung der Mehrwertsteuersätze auf 16% geprägt war, kam es im 2. Halbjahr 2021 zu temporären Basiseffekten: Die Mineralölpreisentwicklung kehrte sich ins Gegenteil um, die Steuersätze stiegen wieder auf das ursprüngliche Niveau von 19% und zusätzlich gab es seit Anfang des Jahres eine neue CO2-Abgabe, die die Preise für Heizöl, Benzin und Erdgas deutlich verteuerte. Dazu kamen schließlich krisenbedingte Effekte: Viele Regierungen sahen sich durch die Pandemie zu Lockdowns gezwungen, wodurch Schiffe in den Häfen blieben und Unter-nehmen nicht produzieren konnten. Dies hatte wiederum Lieferengpässe, Materialknappheit und Preisanstiege auf vorgelagerten Wertschöpfungsstufen zur Folge.

Über Greenflation in die Lohn-Preis-Spirale

In ihrer Grundstruktur ist Inflation wie Feuer. Man sollte sie sofort löschen, wenn sie anfängt zu lodern. Löscht man sie nicht, bewegt sie sich in Wellen – durchaus vergleichbar mit der Pandemie. Aus Angst vor weiteren Preissteigerungen kaufen die Menschen mehr langlebige Konsumgüter und treiben die Preise weiter nach oben. Die Gewerkschaften verlangen eine Kompensation für die Inflation und treiben die Produktionskosten. Weil die Zinsen darüberhinaus in Europa derzeit langsamer als in den USA steigen, fällt der Eurokurs und die Importpreise steigen. Noch nicht berücksichtigt ist dabei die Energiewende – insbesondere im industriellen Umfeld. Unabhängig von den ökologischen Notwendigkeiten wird günstige Kernkraft und fossile Energie durch teuren grünen Strom ersetzt. Man sollte sich nichts vormachen: Die Dekarbonisierung in der Industrie ist ökologisch wichtig, wird aber in Zukunft ein weiterer drastischer Inflationstreiber bleiben, längst wird in Fachkreisen von „Greenflation“ gesprochen. Die Gefahr, dass es zu Zweitrundeneffekten kommt ist evident. Willkommen in der Welt der Lohn-Preis-Spirale!

Teure Tarifabschlüsse verpuffen

Das gilt letztlich auch für die anstehenden Tarifrunden, die den Preisdruck zusätzlich verstärken könnten. Natürlich werden die Gewerkschaften fordern, dass es eine deutliche Erhöhung gibt und dass es nicht zu Reallohnverlusten für die Beschäftigten kommt. In der Konsequenz würde dies aber zu einer Verfestigung der Inflationserwartungen und damit zu einer Befeuerung der Lohn-Preis-Spirale führen. Ab einem gewissen Punkt bliebe der Europäischen Zentralbank nichts anderes mehr übrig als zu einer restriktiveren Geldpolitik überzugehen, was sich negativ auf die öffentlichen Haushalte (höhere Zinslasten), die Investitionen der Unternehmen (Kredite werden teurer) und das Wachstum auswirken würde. Ein übermäßig teurer Tarifabschluss würde verpuffen, denn die steigende Nachfrage würde nicht bedient, sondern lediglich in Preissteigerungen münden.

Das Wirtschaftliche Umfeld bleibt weiter fragil

Insofern bleibt für nächstes Jahr nicht nur die Frage, wie sich die Tarifpartner verhalten, sondern auch, wie stark sich die krisenbedingten Effekte verstetigen. Denn insbesondere diese haben zu der hohen Dynamik im vergangenen Jahr geführt. Die aktuellen Einschätzungen aus der Industrie zeigen uns, dass sich die Lieferengpässe bei Vorprodukten und Rohstoffen weiter verschärfen. Die Ursachen liegen vor allem in erheblichen Verspannungen im internationalen Warenhandel, die überwiegend auf die Pandemie zurückgehen. Daher kann man für die Energie- und Rohstoffpreisentwicklungen im nächsten Jahr leider keine Entwarnung geben. Dazu wird die Erhöhung des Mindestlohns die Preise treiben und auch das gesamtwirtschaftliche Umfeld durch mögliche Corona-Varianten fragil bleiben.

Letztlich rechnen wir damit, dass die Inflationsrate auch im Jahr 2022 auf einem erhöhten Niveau bleibt. Durch den Wegfall der temporären Basiseffekte dürfte sich aus heutiger Sicht der Anstieg aber abflachen. Nichtsdestotrotz sollten wir die Entwicklungen aufmerksam verfolgen, denn ein Geist der Vergangenheit ist die Inflation leider nicht.

[DR. JOACHIM ALGERMISSEN]

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Weitere Informationen zu diesem Thema erhalten Sie von unserem Referent für Wirtschaftspolitik Moritz Mogwitz.

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