Fotos (2): Axel Herzig
Es ist toll, wenn alle Spieler als Sieger vom Platz gehen
Wenn es in der Lieferkette knirscht, erhöht der Kunde in der Regel den Druck auf den Anbieter. Doch es geht auch anders – mit deutlich nachhaltigeren Effekten. Der Baumaschinenhersteller Komatsu etwa schickte statt wütender Briefe seine eigenen Monteure als Unterstützung zum Lieferanten. Ingo Büscher, Komatsu-Geschäftsführer in Hannover, über eine spontane, aber wirkungsvolle Idee.
Herr Büscher, wie ist Komatsu in Hannover durch die Corona-Krise gekommen?
Der Markt ist aktuell sehr, sehr gut. Zu Beginn der Corona-Krise haben wir noch einen aufschiebenden Effekt gespürt. Der Bedarf war zwar unverändert da – das können wir an den GPS-Nutzungsdaten unserer Maschinen ablesen – aber der Auftragseingang war durch eine zeitweilige „Corona-Verunsicherung“ unser Händler und Endkunden deutlich zurückgegangen. Seit Beginn der zweiten Corona-Welle haben wir aber Auftragseingänge in Rekordhöhe. Die resultierende Erhöhung der Produktion brachte aber auch zunehmende Probleme in der Lieferkette mit sich.
Zum Beispiel?
Unsere Lieferanten hatten durch Engpässe beim Rohmaterial, durch Corona und durch Schiffsverspätungen große Schwierigkeiten, pünktlich zu liefern. Durch einen akuten Engpass bei Hydraulik-Komponenten für unsere großen Maschinen standen wir trotz super Auftragslage kurz davor, die Montagebände anhalten zu müssen.
Der neue Slogan von Komatsu lautet nicht ohne grund „Create Value Together“. Dieses Prinzip wird bei uns gelebt – in allen Bereichen.
Ingo Büscher,
Komatsu-Geschäftsführer in Hannover
Wie haben Sie das Problem in den Griff bekommen?
Wir haben sehr kurzfristig die Produktion unserer Kleinradlader vorgezogen, weil wir bei dieser Produktgruppe die kritischen Teile auf Lager hatten. Nur die Fahrerkabinen hatten wir nicht im Bestand. Wir mussten daraufhin unseren in Bayern ansässigen Lieferanten darum bitten, die Produktionsmenge kurzfristig zu verdoppeln.
Warum können Sie wichtige Teile wie etwa die Fahrerkabinen nicht lagern?
Wir produzieren unsere Gerätschaften auftragsbezogen für den Europäischen Markt. Unsere Kunden konfigurieren ihre Baumaschine individuell, wie man es auch vom PKW-Kauf kennt. Da ist kaum ein Fahrzeug wie das Andere. Entsprechend werden die Kabinen drei Wochen vor der Endmontage mit unserer Kundenspezifikation beim Lieferanten abgerufen. Das ist im Hinblick auf Qualität und Kosten optimal. Nur Sicher-heitsbestände lassen sich so nicht aufbauen. Aber leider schien auch eine Verdopplung der Produktion auf Seiten des Lieferanten unrealistisch.
Daraufhin haben Sie etwas getan, was man als unkonventionell bezeichnen kann …
Genau, angesichts des drohenden Produktionsstopps für mehr als hundert Mitarbeiter hatten wir die Idee, dem Lieferanten einige unserer besten Monteure aus Hannover kurzfristig als Unterstützung anzubieten. Das Angebot hat er auch gern angenommen und so fuhren kurz darauf drei Mitarbeiter von uns nach Bayern, um dort bei der Herstellung unserer Baggerkabinen zu helfen.
Dieses Engagement hat sich offensichtlich ausgezahlt.
Unsere Vorleistung hat dazu geführt, dass die Motivation unseres Lieferanten, die ehrgeizige Erhöhung zu schaffen, maximal groß war. Schon nach dem ersten Besuch wurde die Montagelinie des Zulieferers – die zu diesem Zeitpunkt noch zu 30 Prozent für einen anderen Kunden arbeitete – ganz auf unsere Produkte umgestellt. Durch diese und weitere Maßnahmen ist tatsächlich kurzfristig die Verdopplung von 20 Kabinen auf 40 Kabinen wöchentlich gelungen.
Hat sich ihr Verhältnis zu dem Lieferanten durch die Aktion auch langfristig verändert?
Unbedingt. Die Tür war jetzt offen, nicht nur für unsere Monteure, sondern auch für unsere Qualitäts-Mitarbeiter, um gemeinsam Probleme zu besprechen, die es eben auch gibt. Eine solche Kabine zu bauen, ist fast genauso komplex wie ein ganzes Fahrzeug. Jetzt gibt es wöchentliche Treffen, auf denen der dortige Produktionsleiter mit uns intensiv zusammenarbeitet.
Ist dieser Ansatz der Kooperation eher eine Reaktion auf aktuelle Krisenlagen – oder ist es vielmehr ein Grundprinzip in Ihrem Unternehmen?
Das ist eindeutig ein Grundprinzip. Eines, das sehr gut in die Zeit passt, aber definitiv ein Teil unseres Wertesystems ist. Dieses System ist wahrscheinlich nicht ganz ungewöhnlich für große Unternehmen, auch speziell für Japanische. Ungewöhnlich ist aber, dass es wirklich mit jeder Faser gelebt wird. Der neue Slogan von Komatsu etwa lautet „Create Value Together“. Das bezieht sich gedanklich in erster Linie auf die Zusammenarbeit mit dem Kunden, mit dem vor Ort gemeinsame Lösungen gesucht werden sollen. Es betrifft aber auch alle anderen Bereiche.
Welche Lehre ziehen Sie aus der Aktion?
Das war definitiv ein Best-Practice-Beispiel für die Zukunft. Es war zwar nicht der erste Fall dieser Art, aber ein sehr spontaner. Innerhalb eines Tages haben wir entschieden, vor Ort auszuhelfen. Es ist toll zu erleben, wenn nach einem anstrengenden Turnier alle Spieler als Sieger vom Platz gehen.
[INTERVIEW: PAUL BERTEN]