Foto: Tim Schaarschmidt
Tarifabschluss 2022:
Hart errungener Kompromiss
Die diesjährige Tarifrunde in der Metall- und Elektro-industrie ist unter besonders schwierigen Bedingungen geführt worden. Angesichts zahlreicher Krisen haben sich Arbeitgeber und IG Metall auf einen Kompromiss geeinigt,der nicht leicht zu tragen ist.
Nach einer außerordentlich schwierigen Tarifrunde haben sich die Tarifpartner von NiedersachsenMetall und IG Metall Ende November auf einen neuen Tarifabschluss für die rund 120.000 Beschäftigten in der Metall- und Elektro-Industrie geeinigt. Innerhalb der Laufzeit von 24 Monaten werden die Gehälter in zwei Schritten angehoben, zunächst um 5,2 Prozent im Juni 2023 und ein weiteres Mal im Mai 2024 um 3,3 Prozent. Dazu gibt es eine Erhöhung des tariflichen Zusatzgeldes B (T-Zug B) auf 600 Euro und eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 3.000 Euro. Allerdings können die Unternehmen die Zahlung der Prämie stückeln und über die gesamte Laufzeit verteilen. Die T-Zug B-Zahlung kann ebenfalls verschoben und bei schlechter Ertragslage (Nettoumsatzrendite < 2,3 Prozent) sogar ganz gestrichen werden.
„Der neue Tarifvertrag ist ein hart errungener Kompromiss in einer schweren Zeit, die Lohnerhöhung sowie die 3.000 Euro Inflationsausgleichsprämie sind ein ordentlicher Schluck aus der Pulle. Für etliche Unternehmen wird es eine immense Herausforderung, diese Beschlüsse zu verkraften“, sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall. 8,5 Prozent Tabellenerhöhung täten sehr weh, ergänzt Torsten Muscharski, Verhandlungsführer der Arbeitgeber. „Das sind hohe Zusatzkosten, die erst einmal erwirtschaftet werden müssen.“ Zumal der deutschen Wirtschaft ab dem Winterhalbjahr eine Rezession prognostiziert wird. Dennoch sei der Abschluss auch ein Zeichen: „Dieser Kompromiss ist Ausdruck der Hoffnung, dass wir die schwierigen Monate, die vor uns liegen, schnell hinter uns lassen können und es schon ab Mitte kommenden Jahres wirtschaftlich wieder aufwärts geht.“, sagt Schmidt.
Gewerkschaft fordert Inflationsausgleich
Früh zeichnete sich ab, dass es in dieser Tarifrunde ausschließlich ums Entgelt gehen würde. Die Gewerkschaft forderte acht Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Als Ausgleich für die hohe Inflation und mit dem Spielraum, zeitnah nachfordern zu können, sollte sich die wirtschaftliche Lage im kommenden Jahr nicht bessern. Als Hauptargument führte die IG Metall die gute Auftragslage in den meisten Unternehmen an.
Auftragslage ist trügerisch
Doch diese sei trügerisch, mahnte Muscharski mehrfach an. Volle Auftragsbücher hießen nicht automatisch auch gute Auslastung und insbesondere auch nicht Gewinne. Durch fehlende Materialien und Fachkräftemangel könnten Aufträge häufig gar nicht abgearbeitet werden, es entstehe ein Auftragsstau. „Durch die hohen Energie- und Vorleistungskosten geschieht es zudem immer häufiger, dass Unternehmen mit Aufträgen, die sie vor der Krise angenommen und mit niedrigeren Kosten kalkuliert haben, nun Verluste machen“, so Muscharski. Mit rund 52 Milliarden Euro Mehrkosten für Energie rechnet die Branche im kommenden Jahr. Das sind knapp 20 Prozent der gesamten Personalkosten.
Zum Vergleich: 2019 lagen die Gesamtkosten für Energie in der M+E-Industrie bei rund 11 Milliarden Euro. Auch beim Material sind massive Kostensteigerungen von rund 176 Milliarden Euro im laufenden Jahr zu erwarten. Sollte sich die Krise weiter verschärfen, sei daher laut Muscharski mit vielen Stornierungen zu rechnen.
Für die Arbeitgeber standen Planungssicherheit und die Möglichkeit zur Differenzierung und Variabilisierung im Vordergrund ihrer Forderungen. „Die Spannbreite zwischen den Unternehmen, denen es wirtschaftlich gut geht, und denen, die große Schwierigkeiten haben, wird immer größer. Ein Flächentarifvertrag muss aber beiden Seiten gerecht werden“, sagt Muscharski. Durch die massiven Kosten der Energiekrise sowie Materialengpässen und Fachkräftemangel sind vor allem kleine und mittlere Betriebe schon bis an den Rand des Tragbaren belastet. Eine deutliche Steigerung der Lohnkosten ist für viele momentan schlicht nicht umsetzbar. Unternehmen, die bereits mit dem Rücken zur Wand stünden, sollten daher nicht noch über Gebühr belastet werden. Dagegen müsse es Betrieben, deren wirtschaftliche Lage es zulässt, auch möglich sein, die Arbeitnehmer finanziell am Unternehmenserfolg zu beteiligen.
Foto: Michael Wallmüller
Lange Laufzeit gibt Planungssicherheit
„Wir stehen unseren Unternehmen zur Seite, damit sie die Flexibilisierungsspielräume, die dieser Tarifvertrag bietet, bestmöglich nutzen können", sagt Schmidt. Positiv bewerten Muscharski und Schmidt zudem die lange Laufzeit von 24 Monaten, die den Betrieben und ihren Beschäftigten Planbarkeit gibt. Damit sei ein weiteres wichtiges Element vereinbart worden, das es der Arbeitgeberseite ermöglicht hat, trotz der deutlichen Entgelterhöhungen dem Tarifvertrag zuzustimmen. Doch in die Bilanz mischt sich auch Selbstkritik. „Die Tarifrunde ist zu schleppend verlaufen“, sagt Schmidt. Beide Seiten hätten zu lange gebraucht, um aufeinander zuzugehen. Zu Beginn der Tarifrunde im September hatten die M+E-Arbeitgeber betont, dass man nur zusammen die stürmischen Zeiten überwinden und nach vorn kommen könne. Beobachtet von zahlreichen Unternehmern, Gewerkschaftern sowie Foto- und Fernsehkameras hatte Schmidt zum Auftakt IG Metall-Bezirkschef Thorsten Gröger ein Segelschiffsmodell geschenkt, passend zum Plakat der M+E-Arbeitgeber, auf dem sich ein Trawler durch einen heftigen Sturm kämpft. Die Botschaft: In dieser Krise sitzen wir alle in einem Boot. Ein Bild mit Symbolcharakter.
[ISABEL CHRISTIAN]