Tarifrunde 2022

Foto: Foto: Getty Images (guvendemir)

Von einer Krise in die nächste:
Die M+E-Industrie steuert durch schwere Zeiten

Die Metall- und Elektroindustrie verzeichnet zwar mehr Aufträge, macht durch hohe Energie- und Vorleistungskosten aber Verluste. Eine Verbesserung der Lage ist derzeit nicht in Sicht.

Die Unternehmen in der Metall- und Elektro-Industrie driften weiter auseinander, die Heterogenität der Branche nimmt zu. Das zeigen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes und von Gesamtmetall. Während die Auswirkungen der aktuellen Krisen aufgrund hoher Kosten für Energie, Rohstoffe und Vorleistungen in der Elektro-Industrie auch aufgrund von Sondereffekten noch beherrschbar erscheinen und der Trend bisher nach oben wies, rutschten Maschinenbau, Metallerzeugnisse und vor allem der Fahrzeugbau zuletzt massiv weg. Im Ergebnis verharrt die M+E-Industrie daher immer noch um 12 Prozent unter dem Produktionsniveau von 2019, bevor die Corona-Pandemie die Wirtschaft das erste Mal drastisch durchgeschüttelt hat.

Nach düsteren Prognosen für die deutsche Wirtschaft im Herbst sehen mehrere Ökonomen wieder einen Silberstreifen am Horizont. Der überraschende Anstieg des ifo-Geschäftsklimaindexes im November sowie ein unerwartet stabiles Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Sommer lassen die Experten hoffen, dass die Rezession milder und kürzer ausfällt als bislang erwartet. Doch trotz der positiven Entwicklungen sind sich die meisten Wirtschaftsexperten einig: Das erste Halbjahr 2023 steht im Zeichen der Rezession. Als Grund nennen die Forscher unter anderem, dass sich die Folgen der stark gestiegenen Energiepreise ausweiten und Kettenreaktionen auslösen. Die ersten Unternehmen haben bereits zeitweise die Produktion eingestellt aufgrund mangelnder Rentabilität infolge der horrenden Betriebskosten. Darunter sind viele kerngesunde Unternehmen. Das verstärkt die Brüchigkeit der gesamten Lieferkette und zwingt nachgelagerte Firmen, notwendige Vormaterialien aus anderen Quellen zu beziehen, in der Regel zu deutlich höheren Kosten. Hinzu kommen weitere Faktoren, die die Unsicherheit in den Betrieben schüren: Die Gefahr von temporären Knappheiten bei Strom und Gas, Finanzierungsengpässe, die Zero-Covid-Politik in China und ihre Folgen für die Weltmärkte, Rohstoffmangel und der immer deutlicher zutage tretende Fachkräftemangel.

M+E-Produktion bleibt deutlich unter Vorkrisenniveau

Saison- und kalenderbereinigte Quartalswerte, Index (2015 = 100)

Quelle: Stat. Bundesamt

Durch die aktuellen Krisen gerät zunehmend aus dem Blickfeld, dass sich die M+E-Branche in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befindet. Digitalisierung und Dekarbonisierung fordern hohe Anstrengungen und immense Investitionsausgaben. Doch beides ist aufgrund der aktuellen Situation für viele Unternehmen undenkbar. Rücklagen wurden größtenteils während der Corona-Krise aufgezehrt, die jetzigen Kostenzuwächse müssen unmittelbar aus erwirtschafteten Gewinnen finanziert werden. Schon das ist für zahlreiche Betriebe des industriellen Mittelstands kaum zu stemmen. Der von der Bundesregierung angekündigte Energiepreisdeckel wird tendenziell eine Entlastung bringen. Doch er wird die hochgradig problematische Kostensituation, in der sich zahlreiche Unternehmen befinden, nicht durchgreifend lösen können.

Damit ist auch die industrielle Wertschöpfung am Standort Deutschland in großer Gefahr. Galoppierende Energiepreise bewirken, dass die Bundesrepublik als Produktions- und Investitionsstandort zunehmend an Attraktivität verliert. Bisher konnten gewichtige Standortnachteile wie hohe Lohnkosten und eine überbordende Bürokratie gerade in der Industrie noch durch vergleichsweise niedrige Kosten für russisches Gas „kaschiert“ werden. Doch dies ist nun passé, die Explosion der Energiepreise führe zu einer drastischen Neubewertung des Industriestandorts Deutschland, so Branchenexperten. Erweiterungsinvestitionen würden vorzugsweise im Ausland stattfinden. Es geht deshalb in diesen Monaten nicht nur um den Erhalt der bestehenden Industriebetriebe, es geht im Kern auch um die Frage, ob Investitionen hierzulande noch wirtschaftlich sind. Hat der Industriestandort Deutschland überhaupt noch eine Zukunft? Fakt ist: Die Relationen im Standortranking verschieben sich drastisch zu Lasten Deutschlands. An einer Tarifpolitik, die weitreichende Differenzierungsmöglichkeiten bietet, führt deshalb kein Weg vorbei.

[ISABEL CHRISTIAN]

Haben Sie Fragen?

Weitere Informationen zu diesem Thema erhalten Sie von unserem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer Norbert Reiners

Schreiben Sie eine E-Mail!