TarifAbschluss 2022:
Hart errungener Kompromiss
Nach einer außerordentlich schwierigen Tarifrunde haben sich die Tarifpartner von NiedersachsenMetall und IG Metall Ende 2022 auf einen neuen Tarifabschluss für die rund 120.000 Beschäftigten in der Metall- und Elektro-Industrie geeinigt.
„Der neue Tarifvertrag ist ein hart errungener Kompromiss in einer schweren Zeit, die Lohnerhöhung um insgesamt 8,5 Prozent sowie die 3.000 Euro Inflationsausgleichsprämie sind ein ordentlicher Schluck aus der Pulle. Für etliche Unternehmen wird es eine immense Herausforderung, diese Beschlüsse zu verkraften“, sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall. 8,5 Prozent Tabellenerhöhung täten sehr weh, ergänzt Torsten Muscharski, Verhandlungsführer der Arbeitgeber. „Das sind hohe Zusatzkosten, die erst einmal erwirtschaftet werden müssen.“
Früh zeichnete sich ab, dass es in dieser Tarifrunde ausschließlich ums Entgelt gehen würde. Die Gewerkschaft forderte acht Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Als Ausgleich für die hohe Inflation und mit dem Spielraum, zeitnah nachfordern zu können, sollte sich die wirtschaftliche Lage nicht bessern. Als Hauptargument führte die IG Metall die gute Auftragslage in den meisten Unternehmen an. Doch diese sei trügerisch, mahnte Muscharski mehrfach an. Volle Auftragsbücher hießen nicht automatisch auch gute Auslastung und insbesondere auch nicht Gewinne. Durch fehlende Materialien und Fachkräftemangel könnten Aufträge häufig gar nicht abgearbeitet werden, es entstehe ein Auftragsstau.
Für die Arbeitgeber standen Planungssicherheit und die Möglichkeit zur Differenzierung und Variabilisierung im Vordergrund ihrer Forderungen. „Die Spannbreite zwischen den Unternehmen, denen es wirtschaftlich gut geht, und denen, die große Schwierigkeiten haben, wird immer größer. Ein Flächentarifvertrag muss aber beiden Seiten gerecht werden“, sagt Muscharski. Unternehmen, die bereits mit dem Rücken zur Wand stünden, sollten daher nicht noch über Gebühr belastet werden. Dagegen müsse es Betrieben, deren wirtschaftliche Lage es zulässt, auch möglich sein, die Arbeitnehmer finanziell am Unternehmenserfolg zu beteiligen.
Die Spannbreite zwischen den Unternehmen, denen es wirtschaftlich gut geht, und denen, die große Schwierigkeiten haben, wird immer größer.
Torsten Muscharski,
Verhandlungsführer NiedersachsenMetall
„Wir stehen unseren Unternehmen zur Seite, damit sie die Flexibilisierungsspielräume, die dieser Tarifvertrag bietet, bestmöglich nutzen können“, sagt Schmidt. Positiv bewerten Muscharski und Schmidt zudem die lange Laufzeit von 24 Monaten, die den Betrieben und ihren Beschäftigten Planbarkeit gibt. Damit sei ein weiteres wichtiges Element vereinbart worden, das es der Arbeitgeberseite ermöglicht hat, trotz der deutlichen Entgelterhöhungen dem Tarifvertrag zuzustimmen. Doch in die Bilanz mischt sich auch Selbstkritik. „Die Tarifrunde ist zu schleppend verlaufen“, sagt Schmidt. Beide Seiten hätten zu lange gebraucht, um aufeinander zuzugehen. Zu Beginn der Tarifrunde im September hatten die M+E-Arbeitgeber betont, dass man nur zusammen die stürmischen Zeiten überwinden und nach vorn kommen könne. Beobachtet von zahlreichen Unternehmern, Gewerkschaftern sowie Foto- und Fernsehkameras hatte Schmidt zum Auftakt IG Metall-Bezirkschef Thorsten Gröger ein Segelschiffsmodell geschenkt, passend zum Plakat der M+E-Arbeitgeber, auf dem sich ein Trawler durch einen heftigen Sturm kämpft. Die Botschaft: In dieser Krise sitzen wir alle in einem Boot. Ein Bild mit Symbolcharakter.
Die wichtigsten Punkte des neuen Tarifvertrags
INFLATIONSAUSGLEICHSPRÄMIE
Zur Abmilderung steigender Verbraucherpreise erhalten die Beschäftigten zusätzlich zum Arbeitslohn die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie gemäß § 3 Nr. 11c EStG. Teilzeitbeschäftigte erhalten die Inflationsausgleichsprämie anteilig zur Wochenarbeitszeit, jedoch mindestens in Höhe von 400 Euro pro Auszahlungszeitpunkt, also insgesamt mindestens 800 Euro. Auszubildende bekommen insgesamt 1.100 Euro.
Die Auszahlung soll in zwei Teilbeträgen erfolgen, 1.500 Euro können freiwillig ab Dezember 2022 und weitere 1.500 Euro ab Dezember 2023 gezahlt werden. Ansonsten sind die Arbeitgeber verpflichtet, 2023 und 2024 jeweils bis zum 1. März auszuzahlen, die erste Tranche von 750 Euro spätestens im Januar. Die Betriebsparteien (Unternehmensführung und Betriebsrat) können aber hier die Auszahlungszeitpunkte beliebig innerhalb der Laufzeit des Tarifvertrags verschieben.
ERHÖHUNGEN DER ENTGELTE UND AUSBILDUNGSVERGÜTUNGEN
Für die Monate Oktober 2022 bis Mai 2023 gelten die bisherigen Tabellen weiter. Mit Wirkung vom 1. Juni 2023 erhöhen sich die Entgelte und Ausbildungsvergütungen in einer ersten Stufe um 5,2 Prozent. Ab 1. Mai 2024 folgt eine weitere Erhöhung um 3,3 Prozent. Die im Tarifabschluss 2021 vereinbarte Erhöhung des T-Geldes bzw. Trafobausteins ab Februar 2023 von 18,4 auf 27,6 Prozent entfällt.
DIFFERENZIERUNG
Die in der Tarifrunde 2021 erstmals eingeführte automatische Differenzierung konnte für diesen Abschluss für die Jahre 2023 und 2024 erneut vereinbart werden. Diese ermöglicht es Unternehmen, die sich in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befinden, die Fälligkeit des tariflichen Zusatzgeldes (T-ZUG B) in Höhe von künftig rund 600 Euro (statt 400 Euro) sowohl 2023 als auch 2024 automatisch differenzieren, also zeitlich schieben, kürzen oder streichen zu können. Dazu muss die Nettoumsatzrendite des Unternehmens unter 2,3 Prozent liegen. Im ersten Schritt kann das T-ZUG B-Geld dann vom Auszahlungszeitpunkt 1. Juli bis zum 30. April des Folgejahres geschoben werden, im zweiten Schritt kann es ganz entfallen. Dazu muss das Unternehmen die Entscheidung für die Differenzierung nur anzeigen, man braucht keine Zustimmung von Betriebsrat und Gewerkschaft.
ENERGIENOTFALLKLAUSEL
Die Tarifvertragsparteien haben sich auf einen Prozess verständigt, wie schnell und flexibel auf eine Energienotlage während der Laufzeit des Tarifvertrages reagiert werden kann.