Vorwort

Wolfgang Niemsch

Dr. Volker Schmidt

Sehr geehrte Damen und Herren,

ergänzend zu den umfangreichen Publikationen, die Niedersachsen­Metall Ihnen regelmäßig zukommen lässt, überreichen wir Ihnen hiermit den Geschäftsbericht 2023. Dieses in einer wirtschaft­lichen Phase, die von geradezu tektonischen Verschiebungen im Standortwettbewerb geprägt ist. Kaum ein Tag vergeht, an dem Unternehmen aus dem Automobilsektor nicht Betriebsverlagerungen und Produktionskürzungen ankündigen und Unternehmen aus anderen Branchen, insbesondere aus der Grundstoffindustrie ganz konkret die Verlagerung von Produktion unter Verweis auf Energiekostennachteile bekanntgeben. Dies alles erfolgt derzeit in einer Intensität, die immer mehr Beobachter vor den Gefahren einer De-Industrialisierung Deutschlands warnen lässt.

Gleichwohl kann aber doch davon eigentlich nur derjenige überrascht sein, der glaubte, die sich spätestens seit der Finanzmarktkrise 2008 aufbauenden Standort-Unwuchten geflissentlich übersehen zu können. Höchste Industriestrompreise innerhalb der OECD nicht erst seit dem Russisch-Ukrainischen Krieg, ein Industrie-Lohnniveau, für dessen Begründung immer noch die Mär von der weltweit höchsten Produktivität am Standort Deutschland bemüht wird – als ob der neueste technologische Standard nur in Deutschland zum Einsatz käme; eine Regulierungsdichte, die international einzigartig ist und die statt Planungssicherheit eher Investorenabschreckung hervorruft. Und ein Unternehmenssteuerrecht, das bis auf einige zeitlich befristete Erleichterungen während der Corona-Pandemie in den Grundzügen nahezu ein und dasselbe ist wie vor 20 Jahren.

NiedersachsenMetall hat gemeinsam mit unseren Partnerverbänden in der Metall- und Elektro-Industrie stets und immer wieder auf die immer steiler werdende Klippe, auf das ständige Aufholen anderer Wettbewerber innerhalb Europas und weltweit hingewiesen. Wir haben Veränderungen angemahnt und Lösungsvorschläge unterbreitet. Mit unserem Konzept für eine unbürokratische FuE-­Zulage haben wir sogar dafür gesorgt, dass auf Initiative des Landes Nieder­sachsen hin 2020 eine Steuererleichterung für mittelständische Unternehmen im Steuerrecht verankert wurde. Wir haben mit einem von uns in Auftrag gegebenen Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft schon 2016 belegen können, dass seit der Finanzmarktkrise der Kapitalstock der deutschen Industrie von Jahr zu Jahr schrumpft, weil die Abschreibungen auf das Anlage­vermögen die Bruttoinvestitionen immer deutlicher überschreiten, die Nettoinvestitionen also negativ sind. Schlichte Begründung: Es fließt zunehmend Investitionskapital ins Ausland ab mit dem Ergebnis, dass der Kapitalstock in Deutschland veraltet. Schon vor sieben Jahren sagten 70% der befragten mittelständischen Industrieunternehmen in Niedersachsen, die auch im Ausland Produktionskapazitäten aufrechterhalten, dass künftige Investitionen weit überwiegend auch nur noch im Ausland vorgenommen werden aufgrund der mangelhaften Rentabilität in Deutschland.

Alles „verschüttete Milch“ könnte man jetzt lapidar feststellen. Nur eingeschränkt, würde ich antworten. Weil die Alarmzeichen mittlerweile so unübersehbar sind, dass eine Politik, die sich in der Verantwortung für das Gemeinwohl sieht, davor nicht länger die Augen verschließen kann. Wenn also Roman Herzogs Weckruf von 1997, „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“, seitdem wieder eine Berechtigung hat, dann ist es heute. Die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche passt hierzu allerdings genauso wenig wie der naive Glaube, die Augen der Welt seien beim Klimaschutz auf Deutschland gerichtet. Die praktische Relevanz der deutschen Energiepolitik für das Weltklima bewegt sich im Promille-Bereich. Und um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Allein China wird in diesem Jahr nur aus dem Bau zusätzlicher Kohlekraftwerke das 1,5-fache dessen zusätzlich an CO₂ emittieren, was die Bundesrepublik Deutschland in Gänze 2023 an CO₂ in die Luft stoßen wird.

Wer in der Politik ein konkretes Ziel vorgibt, scheitert womöglich schon daran, dass das Ziel bereits wie die Lösung aussieht. Es ist der Weg dorthin, um den es geht. Und diesen Weg realistisch und nachvollziehbar aufzuzeigen, ist die amtierende Bundesregierung bedauerlicherweise bis heute schuldig geblieben. Gefragt sind heute mehr denn je „Maß und Mitte“ – und damit wären wir wieder bei Ludwig Erhard.


Mit den besten Grüßen

Wolfgang Niemsch
Dr. Volker Schmidt